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Wiener Zeitung_Feuilleton

Wiener Zeitung, England

„Wo Draculas Blutspur begann“

Das Küstenstädtchen Whitby bot Bram Stoker Inspiration

Erschienen in Wiener Zeitung, Feuilleton, 18. April 2012

www.wienerzeitung.at

Leseprobe

„… Exakt 199 Stufen sind vom Hafen von Whitby hinauf zur St Mary’s Kirche zurückzulegen. Von den Klippen flaniert der Blick über rote Ziegeldächer, einen Friedhof mit verwitterten Grabsteinen und die Ruinen einer düsteren Abtei hinaus auf die blassblaue Nordsee. Eine Brise trägt Möwenschreie und den Geruch von Seetang heran. Nichtviel anders als zu jener Zeit, als in dem nordenglischen Küstenstädtchen die berühmteste Horrorfigur der Literatur Gestalt annahm: Dracula. Die Idee zu einem Schauerroman, in dem ein „Count Wampyr“ eine Rolle spielen sollte, hatte Bram Stoker schon früher gewälzt. Doch erst in Whitby sollten jene Mosaiksteinchen zusammenfallen, die dem vor 100 Jahren (20. April 1912) verstorbenen Stoker – allerdings posthum – Weltruhm  bescherten.

…. Die Vorlage zur dramatischen Ankunft des lichtscheuen Gesellen stammte vom Hafenmeister, der dem neugierigen Hauptstädter vom Schiffbruch des russischen Schoners „Dmytri“ im Jahr 1885 erzählt hatte. Stoker machte sich nicht die Mühe, viel zu ändern. Er lässt die „Demeter“ in einem Sturm am Strand von Whitby auflaufen. Dort springt Graf Dracula, der sich in Varna eingeschifft und unterwegs die Besatzung massakriert hat, in Gestalt eines riesigen Hundes an Land und eilt davon. Auch heute noch ist Stokers Roman als Whitby-Guide brauchbar … „