
Zur Quelle der Mur in den Lungau
Österreichs zweitlängstem Fluss – der Mur – haftete lange Zeit ein Aschenputtel-Image an. Im Gegensatz zur Donau inspirierte die Mur nicht zu Liedern oder Walzern, und auf ihrem Weg durch die Steiermark nahm sie einst auch reichlich Industrieabwässer auf. Das ist Schnee von gestern.
Geburtsurkunde aus dem Salzburger Lungau
Ihre Quelle hat die Mur im Salzburger Lungau – und der „Murursprung“ ist ein Wanderziel für die ganze Familie. Ausgangspunkt ist die 550 Einwohner-Ortschaft Muhr – die sich mit einem „h“ schreibt. Der einzige Lungauer Ort mit einem Anteil am Nationalpark Hohe Tauern sieht im Winter wochenlang keine Sonne. Eine Güterstraße stellt die Verbindung zur Sticklerhütte her, wo – auf 1750 Metern Höhe – die Wanderung beginnt.
Das moderne Alpenvereinshaus bekommt besonders in den Nachmittagsstunden reichlich Sonne ab. Verlockend auch das kulinarische Angebot „Marke Lungau“. Kaiserschmarren und Kaspressknödel, Saibling aus dem Fischteich nebenan oder Rahmkoch stehen auf der Speisekarte – diese Schmankerl werden für den Rückweg aufgespart.
Gletscher und Glockenblumen
Der Weg mit der Nummer 711 stellt keine großen Herausforderungen an Technik oder Kondition dar. Munter plätschert die junge Mur durch ein Trogtal, das vor Tausenden Jahren einen mächtigen Gletscher beherbergte. Rinder und Pferde geben sich im Sommer ein Stelldichein. Weidenröschen und Glockenblumen, Arnika und Bach-Steinbrech rahmen den Wasserlauf ein. Die fleischigen Blätter des Weißen Germer recken sich dem Licht entgegen; in der zweiten Reihe zieren Wollgras, Wacholder- und Schwarzbeer-Sträucher das Hochtal. Vereinzelt klammern sich Lärchen an exponierte Felsklippen.
Silbrig glitzernde Rinnsale überziehen die Talflanken. Im Rücken baut sich der trapezförmige Stock des Weißeck auf, das in 2711 Meter Höhe über dem hintersten Murtal und dem Riedingtal thront. Der grauweiße Kalk und die grün leuchtenden Almwiesen geben herrliche Kontraste ab und machen die Tour zu einem landschaftlichen Genuss.
Auftakt zu einer 444,44 km langen Reise
Das Quellgebiet kommt nach gut 80 Minuten in Sicht. Unter einer mächtigen Dolomitbank in 1898 Meter Höhe sprudelt die H2O-Schönheit hervor – mit einem Paukenschlag, so als wolle sich Österreichs zweitlängster Fluss der Aufmerksamkeit ihrer Besucher ganz sicher sein. Eine am Fels angebrachte Tafel weist den Quelltopf als offiziellen „Murursprung“ aus.
Das eiskalte Nass sammelt sich in einem Becken, bevor es Fahrt aufnimmt und über die erste von vielen Geländekanten zu Tal rauscht. Von links schießt ein weiterer Bach herab – die Wasserläufe vereinigen sich und treten gemeinsam ihren Weg in ferne Lande an. 444,44 km – so besagt die Infotafel – wird der Fluss zurücklegen, 57 davon durch den Salzburger Lungau und 291 durch die Steiermark. Dann setzt die Mur – der Name stammt aus dem Slawischen – zum Sprung über die slowenische Grenze an und mündet im kroatisch-ungarischen Grenzgebiet in die Drau.
Ins Herz der Hohen Tauern
Wer sich noch etwas auspowern will, setzt nun den Weg Richtung Schmalzscharte fort. Der Felskranz am hintersten Ende des Murtals präsentiert sich in anthrazitgrauen Schattierungen, wild gezackt und bis weit ins Jahr hinein von Schneefeldresten gesäumt. Im nächsten Talkessel schimmern die Schwarzseen in ihren Karen. Dahinter stehen Weinschnabel, Kaltwandspitze, Kölnbreinspitze und weitere Beinahe-Dreitausender der Ankogelgruppe an der Grenze zwischen Salzburg und Kärnten Spalier. Nach diesem Blick ins Herz der Hohen Tauern geht es auf dem Anmarschweg retour – und zu guter Letzt warten die Genüsse auf der Sticklerhütte!